Direkt zum Hauptbereich

Das Leben der anderen


Heute traf ich dich wieder. Und ich war wieder sowas von fasziniert. Von dir und deinem Leben. Angesprochen hätte ich dich zu gerne mal. Aber ich bin ja auch nicht gerade un-schüchtern. Und Angst spielte eine tragende Rolle. Angst davor, zurückgewiesen zu werden. In Form von auf die Fresse hauen oder Schneidebesteck in Bauchdecken rammen.
Denn da ist immer wieder etwas in deinem Gesicht. Sah so aus wie Frustration. Roch auch so. Und ich bin ja nebenberuflich Hobbypsychologe und hätte dir  gerne detaliert erläutert, woher solche Frustrationen kommen.
Beispielsweise, wenn du ganz besorgt zu sein hast. Besorgt über Arbeitsverhältnisse anderer, wo Wörter wie Mindestlohn so fremd sind, wie du dir selbst. Und morgen besuchst du mal wieder einen Textildiscounter, in dem du eine eine neue Hose erwerben möchtest. Für diese aber nicht bereit bist, mehr als nen Zehner zu zahlen. Schließlich muss dein SUV mal wieder vollgetankt werden, während dein Umfeld auch von dir Gedanken zum Umweltschutz einfordert. 

Ja, und die Russen. Die frustrieren besonders. Du Typ ala harte Schale - weicher Kern drückst auch mal ne Träne weg, wenn Polizeigewalt aus Russland über deinen Plasmabildschirm flimmert. Aber noch viel frustrierender sind diese ganzen linken Spinner. Gegen die würdest du zu gerne nicht nur Gummiknüppel und Pfefferspray einsetzen. Ja, und die armen deutschen Polizisten,die werden sich doch wohl noch wehren dürfen....

Na klar! Du bist dafür, dass Deutschland Flüchtlinge aufnehmen sollte. Bist ja schließlich keiner dieser doofen Nazis. Aber doch bitte nicht vor deiner Tür, in deiner Straße, in deinem Bezirk, in deiner Stadt.
Neben Flüchtlingen sorgt auch das leidige Geld ganz bestimmt für viele fiese Frustrationen. Aber deine Frau hat nicht arbeiten zu gehen. Du bist schließlich das Familienoberhaupt. Und nur du schaffst Geld heran. Als Paar habt ihr zwei wunderbare Kinder. Und du magst natürlich Kinder. Wer etwas gegen Kinder sagt, gehört bitteschön auf den Stuhl. Und während du im Sessel dein Kreuzworträtsel löst, stören dich lediglich die Brunftrufe, weil dein Nachbar schon wieder seine Tochter fickt. Aber das ist ja bitteschön nicht dein Problem.

Ja, zuhause! In deinem Fernsehsessel. Mit deiner haushaltschmeißenden Frau und zwei wunderbaren Kindern. Eine Tochter und nen Sohn. Und dann doch wieder diese anderen. Wieder diese Frustration. Denkst du beispielsweise an die beste Freundin deiner Kleinen. Für dich eine dumme Votze! Bringt deiner Tochter nicht tolerierbare Schimpfwörter bei. Und neulich kam die tatsächlich mit nem Vegtarierfetisch nach Hause. Gemeinsam habt ihr vor dem Abendessen euer Leid geklagt über Tierquälerei. Um wenig später festzustellen, dass so ein saftiges Steak zum Abendessen schon schweinelecker sein kann.
Ach ja, diese inkompetenten Pädagogen. Die sind ja auch noch da.Tun auch nichts, außer an der Kaffeetasse nippen, wenn dein Großer in der Schule gehänselt wird. Nur weil er die Klamotten seiner älteren Cousine aufträgt. 

Ja! Die anderen! Nur die sind schuld an deiner Frustration. Und ich bleibe fasziniert von Menschen wie dir, die sich ihr eigenes Leben so einreden, wie sie es gerne wollen. Und doch ein ganz anderes leben, als sie es selber möchten. Das würde ich auch gerne können.

In Liebe

Kommentare