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Leseprobe aus "Die Reise zurück zum Glück"



Der goldene Käfig der Freiheit fühlt sich an, als presse dir jemand seinen Hintern ins Gesicht

«Was hat dich in diesen Bus getrieben?»
«Ich bin sozusagen auf der Flucht», gebe ich zurück.
«Was hast du angestellt?»
Bei der Antwort, die ich mir auf diese Frage zurechtlege, kann ich mir ein Schmunzeln nicht verkneifen.
«Ich habe ein Leben gelebt, was ich nie leben wollte!»
«Oh», folgt es genauso prompt, wie ehrlich. «Ich bin auch auf der Flucht!»
«Wovor?»
«Nicht so schlimm, wie in deinem Fall! Ich habe nur eine Bank überfallen und setze mich nach Luxemburg ab!» Ich lache und bezweifle, richtig gehört zu haben! Was für ein Spinner. Bank überfallen. Nach Luxemburg absetzen. Klar! Und das erzählt man mal eben so.
«Und vor was flüchtest du wirklich?» Ich versuche es noch einmal mit der nötigen Ernsthaftigkeit. In der Hoffnung auf ein konstruktives Gespräch.
«Glaubst du nicht?»
«Ich weiß nicht!» Mit dieser Antwort habe ich mich selbst übertroffen!
«Musst du ja nicht glauben!» Peter nimmt einen großen Schluck aus seiner Bierflasche und setzt sich, wie ich, mit dem Rücken an die Seitenwand gelehnt und legt die Füße auf die Sitze. Seine Schuhe passen mehr zu seinem Gesicht und seinem Gang, als zu seinem Anzug. So abgetragen, wie diese braunen Slipper aussehen, müssen sie schon fünf Jahre an seinen Füßen kleben. Sein großer Zeh schaut aus dem rechten Schuh und wackelt fröhlich vor sich hin.
«Weißt du, ich habe das Leben auf der Straße satt! Ich sehne mich nach einem warmen Heim, nach Ruhe, nach einer Arbeit und Familie. Nicht jeden Tag ums Überleben kämpfen müssen.»
«Seit wann lebst du auf der Straße?»
«Seit 23 Jahren!» Ich schlucke! «Weißt du, alle Menschen, die behaupten, dass hier niemand auf der Straße leben muss, sind Lügner! Bist du einmal in diesen Sumpf hineingerutscht, kommst du kaum wieder raus!»
«Aber du bist frei!»
«Frei? Nein! Du bist gefangen im goldenen Käfig der Freiheit. Und dieser goldene Käfig rostet solange, bis er irgendwann über dir zusammenbricht und dich begräbt. Dann bist du tot! Und wenn du anfängst zu saufen, was du zwangsläufig tust, rostet der Käfig noch schneller!» Peter spricht, schaut mich aber nicht an. Er starrt ins Leere. So, als sagt er das nicht zu mir, sondern zu irgendwem. Vielleicht zu sich selbst. Dazu seine leise Stimme, die mich zwingt, genau zuzuhören, wenn ich ihn verstehen will.
Dann Schweigen! Ich lehne meinen Kopf seitlich gegen die Lehne und beobachte Peter, wie er erneut seine Flasche zum Mund führt. Meine habe ich zwischen die Beine geklemmt.
Auf einmal bekomme ich von der Seite einen heftigen Tritt gegen den Kopf. Die Flasche kann ich nicht mehr halten. Ich spüre einen Schuh im Gesicht, der mich gegen die Lehne drückt. Ich versuche, mein Gesicht zwischen Schuh und Sitzlehne hervorzuziehen, was mir auch gelingt. Einen nächsten Tritt bekomme ich direkt in die Familienplanungen! In mein Gesicht drücken sich diesmal zwei Arschbacken. Nun meldet sich die Frau zu Wort, die vor mir sitzt. Sie schaut zu ihrer Tochter nach hinten, die sich lächelnd neben mich platziert und wie irre gegen den Sitz ihrer Mutter haut. Sie lobt Franka-Hanna-Matilda für ihre Kletterfähigkeiten. Die hat sie. Habe ich selbst gespürt. Franka-Hanna-Matilda begibt sich zurück auf ihren Platz. Ich rechne direkt mit der nächsten Attacke, auf die ich aber keine Lust habe. Ich gehe lieber auf die Toilette.

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