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Mit nem dicken Hals zur Buchmesse!


Nein, die Überschrift zu diesem Text ist weniger sprichwörtlich als wortwörtlich gemeint. Auch wenn die Buchmesse in Sachsen stattfand.
Auf dem Weg nach Leipzig hatte ich das beklemmende Gefühl, zwanzig Hände drücken mir den Hals zu, während ich die 21. Hand nicht aus dem Hals bekam. Es sollte aber noch lästiger werden.

Die Unterkunft stellte sich als Zimmer in einer Studentenwohngemeinschaft heraus.

Okay, gemütlich! Doch dem Studentenalter entwuchs ich vor geraumer Zeit.
Im Gegenteil! Inzwischen sorgen Ü30-Dauerstudenten bei mir für leichte Aggressionen. Also Sachen abstellen, Zimmertür von innen schließen,... Moment, dass mit der verschlossenen Zimmertür kommt in so einer möchtegernalternativen Studentenwohnung eventuell spießig rüber. Egal, in jedem von uns wohnt ein kleiner Spießer. Mindestens ein Kleiner.

Auf der Messe dann der nächste Schocker!

Menschen!
Überall Menschen! Mehr Menschen als Bücher.
Ich hab es ja nicht so sehr mit Menschen. Eher mit Buchstaben, die Wörter entstehen lassen. Wobei ich Kinder da rausnehme. Kinder lassen sich noch lenken. Damit sie mich nicht umrennen.
Anschließend erste bekannte Gesichter getroffen, erste geplante Workshops besucht. Ja, solche Workshops auf Buchmessen können sich rasant als pure Eigenwerbung herausstellen. Nun gut! Aber mir fiel es, wegen der imaginären Händen um und in meinem Hals, sowieso schon schwer, meine Konzentration, zumindest auf Level 2, zu halten. Und dann steht da eine Schlaftablette. Eine Schlaftablette, die es nicht einmal schafft, eine Power-Point-Präsentation hinzubekommen. Enttäuscht zog ich weiter.

Nächster Termin: Mein Bett!
Nein!
Nicht!
Doch!
Die Lesung von Thorsten Doerp aus seinem neuen Buch Eisgeleckt. Ein Muss! Etwas, was ich mir nicht aussuchen konnte. Nicht aussuchen wollte. Ich fühlte mich inzwischen wie ein Pfannkuchen, den jemand mit einem Hundehaufen verwechselte, als er rauf trat. Egal! Die Lesung entpuppte sich als das Großartigste am gesamten Messewochenende.
Und im Anschluss: Kopf ausschalten und den Erfolg der anderen feiern.

Samstagmorgen pellte ich mich mühselig aus dem Bett. Dabei fühlte ich mich alles andere als aus dem Ei gepellt. Eher wie ein Maulwurf, dem es, wegen einer übergroßen Betonplatte, nicht mehr möglich war, sich zurück ans Tageslicht zu buddeln. Ja, ich führte einen Kampf gegen eine Betonplatte. Einen Kampf gegen meinen Körper.
Wie automatisiert verließ ich die Ü30-Studentenwohngruppe, ließ sicherheitshalber mein Auto stehen, stieg stattdessen in die Straßenbahn. Am Hauptbahnhof stieg ich um. Und da hörte ich sie.
Sie, die mir meinen Tag rettete.
Sie, die mich zum Lachen brachte.
Sie, die, in diesem Moment, für mich ganz Leipzig präsentierte. Denn Pauschaldenken kann ich auch.
Ich stand an der Straßenbahnhaltestelle, beobachtete Menschen. Menschen, die Straßenbahnen in Sardinenbüchsen verwandelten. Und dann ertönte eben sie.
Diese Stimme von ihm. Ich schätzte ihn auf Mitte 50.
Sie, also seine Stimme, meine ließ ich im Dauerstudentenwohnheim, lenkte anonym den Menschenauflauf.
«Die Türen im vorderen Bereich fangen gleich an zu weinen. Bitte nutzen Sie auch die Türen im vorderen Bereich.»
«Kommen Sie, rücken Sie bitte in der Bahn durch. Kuscheln macht Spaß!.»
«Überwinden Sie ihre Angst vor Menschen. Rücken Sie bitte durch!» Nein, ich habe mich in keiner Weise angesprochen gefühlt.
«Hier in Leipzig fahren wir noch mit geschlossenen Türen. Bitte rücken Sie durch!» Wenn mein Wohlbefinden ein anderes gewesen wäre, ich hätte mich, spätestens zu diesem Zeitpunkt, krankgelacht. So schmunzelte ich nach innen. Danke an diese Stimme, die mit Spaß, mit einem Funken Ironie mehr erreichte, als mit Ungeduld.

Diesmal folgte kein Maulwurf, sondern das Murmeltier grüßte mich recht schroff.
Wieder Menschen! Noch viel mehr Menschen, als gestern!

Wieder Workshops, wieder Enttäuschungen. Ich machte mich auf, den Kapitalismus anzutreiben. Ich kaufte Bücher für meine Kinder. U.a. Wie du bist, wenn du so bist. Für meine Herzensdame erwarb ich ein Entspannungshörspiel. Wie passend bei einem Ehemann wie mich.

Später führte ich Gespräche mit verschiedensten Verlagsmitarbeitern. Überzeugt hat mich niemand.
Inzwischen erinnerte mich mein Körper an meine Jugendjahre, so sehr rebellierte er. Früher als geplant verließ ich die Messe. Meine Mindestziele hatte ich ja erreicht.
Also wieder Straßenbahn, wieder umsteigen am Hauptbahnhof. Diesmal blieb die Stimme aus. Vielleicht nahm ich sie auch einfach nicht mehr wahr.

Das Atmen fiel mir schwer. Ferngesteuert suchte ich das Hauptbahnhofsinnere auf. Ich plünderte einen Bioladen und sorgte für ein überfordertes Gesicht einer überarbeiteten Apothekerin. Dann wieder fremd fühlen in der Studentenwohngruppe. Ich legte mich schlafen, hoffte auf Dankbarkeit meines Körpers. Immerhin stellte ich ihm jetzt verschiedene Medikamente an die Seite, um einen erfolgreichen Kampf gegen das Böse in mir zu führen.
Am Sonntag verzichtete ich auf einen dritten Messebesuch. Ich setzte mich ins Auto, raste, am Kaffeebecher nippend, mit 100 km/h über die Autobahn zurück nach Berlin.
Ich konnte es kaum erwarten. Endlich wieder nach Hause.

Als Fazit des Messewochenendes setzte sich der Satz «Ich werde in diesem Leben nicht mehr jünger» in den Kofferraum.

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