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Zu Weihnachten ein Kapitel aus »Das Berlin-Syndrom - der zweite Fall von Helene Eberle«

 Gut 45 Minuten standen die Kriminaloberkommissare Dietmar Schulz und Simone Otto im Stau auf der Stadtautobahn. Nichts ging mehr, weil ein Fahrer seinen Lastwagen quer auf der Fahrbahn schlafen legte. So hatten die Polizisten ausreichend Zeit, über Gott und die Welt zu fluchen.

Nachdem der Stau hinter ihnen lag, konnte Schulz endlich Gas geben. Wenigstens die letzten Meter bis zur Ausfahrt nochmal heizen, zeigen, was sein Mercedes AMG unter der Haube hatte. Dann kam die Ausfahrt. Und wieder Stopp-and-Go.

»Man, Alter, das gibts doch nicht! Lernt doch endlich mal Auto fahren ihr Penner.« Die Augen des Kriminaloberkommissars drohten, mit jedem Stopp, noch mehr aus seinem Gesicht zu treten.

»Ich sag dir, die haben ihren Führerschein im Lotto gewonnen. Außerdem sind wir hier im Osten. Die können hier eh kein Auto fahren.«

»Stimmt. Merkt man ja.«

Ab dem Schloss Köpenick konnte Dietmar Schulz das Pedal dann endgültig durchdrücken. Auf dem Müggelheimer Damm hatte er freie Fahrt.

»Hoffentlich werden wir nicht geblitzt.«, kicherte die Otto.

»Mir doch egal. Ich bin Polizist. Ich darf das.« Die km/h-Zahl drohte manches Mal, dreistellig zu werden. Egal. Viel zu lange musste Dietmar Schulz seinen Bleifuß zurückhalten. Dann hatte er jetzt auch das Recht, die verlorene Zeit aufzuholen.

Schneller als gedacht ließen die Polizisten den Müggelheimer Damm hinter sich, dann die Müggellandstraße, ehe Dietmar Schulz sein Gefährt auf die Odernheimer Straße lenkte.

»Krass! Wer wohnt denn hier bitte? Ist das noch Berlin?«

»Willkommen im Osten. Hier siehst du mal, wo unsere Steuergelder bleiben. Ich sag nur: Solidaritätszuschlag. Schöne Einfamilienhäuser haben die hier. Ich kann mir sowas jedenfalls nicht leisten.«

Endlich erreichten sie das Ziel. Als die Otto ausstieg, wurde sie von einer Stille begrüßt, die sie aus der Innenstadt nicht kannte.

»Scheiße, ist das kalt hier.«

»Dafür, dass wir hier rausfahren mussten, will ich ne Gehaltserhöhung.«

Es war zwar trocken, doch die Temperatur fühlte sich um einige Grad kälter an als in der Innenstadt. Selbst am Nachmittag glänzten die Tautropfen auf den vielen Blättern der unzähligen Blumen am Straßenrand. Hätte die Otto nicht die Hausnummer gehabt, sie hätte denken können, sich in einer Kleingartenanlage verirrt zu haben.

»Hier muss es sein. Steht zumindest am Briefkasten. Brehmer.« Die Otto klingelte. Vom Tor aus konnten beide beobachten, dass sich im Haus etwas regte.

»Oh Gott, wie sieht die denn aus? Hahaha«, lästerte Simone Otto. Eine schlanke Frau mit großen Brillengläsern und einem Baumwollrock lief auf die Kripobeamten zu. Dazu trug sie einen Dutt.

»Sind Sie von der Polizei?«

»Richtig!«, bestätigte Dietmar Schulz im Militärton.

»Ja, das tut mir jetzt leid. Der Termin war vor 45 Minuten. Mein Mann und mein Sohn sind nicht mehr zu Hause.«

»Junge Dame, man hat auf die Polizei zu warten. Und die Polizei muss sich auch nicht extra melden, nur weil sie mal im Stau steht. Wenn der Termin angesagt ist, dann werden wir schon kommen. Dann muss man eben mal warten.«

»Also, ... Wie ich schon sagte, mein Mann und mein Sohn sind nicht mehr da. Sie sind vor 15 Minuten losgefahren.«

»Und wo finden wir Ihren Mann und Ihren Sohn jetzt?«, fragte die Otto schnippig.

»Auf der Autobahn. Sie sind auf dem Weg nach Dortmund, um von dort einen Umzug nach Berlin zu fahren.«

»Das kann ja wohl nicht wahr sein!«, fluchte Dietmar Schulz. Seine Kollegin pflichtete ihm bei.

»Also, ich finde das absolut nicht okay, wir fahren hier extra zu Ihnen raus und dann treffen wir niemanden an.«

»Wären Sie pünktlich gewesen, hätten meine Männer noch genug Zeit gehabt. Aber so,... Der Baumwollrock hielt sich die ganze Zeit etwas auf Abstand zu den Polizisten.

»Sagen Sie ihren Männern bitte, die sollen sich schnellstmöglich bei uns melden.«

»Das richte ich ihnen gerne aus.«

»Diese Ostler, keinen Respekt vor der Polizei.«, flüsterte Schulz seiner Kollegin zu.

»Haben Sie denn noch eine Telefonnummer für mich, unter der Sie erreichbar sind?«, fragte die Frau, die sich jetzt mit kleinen Schritten den Polizisten näherte. Diese erkannten erst jetzt, dass das Gesicht der Frau, trotz der großen Brille, sehr viel jünger wirkte. Mit einem aufgesetzten Grinsen reichte die Otto der Frau ihre Visitenkarte über den Zaun.

 

»Das Berlin-Syndrom - der zweite Fall von Helene Eberle«  erscheint im Frühjahr 2021

 

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