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Offene Briefe und ich

Ich: »Ich möchte diesen Brief versenden.«
Sie: »Einschreiben oder normal?«
Ich: »Bitte mit persönlicher Übergabe.«
Sie: »Moment, der Brief ist noch offen.«
Ich: »Ja, das ist ein offener Brief.«
Sie: »Der wird nicht ankommen.«
Ich: »Wieso nicht?«
Sie: »Weil er offen ist. Sie müssen den Brief zumachen.«
Ich: »Aber dann ist es kein offener Brief mehr.«
Sie: »Ich kann kein Einschreiben annehmen, dass nicht verschlossen ist.«
Ich: »Sie sollen ja kein Einschreiben annehmen, sondern meinen offenen Brief als Einschreiben versenden. An Olaf Scholz.«
Sie: »Das geht nicht.«
Ich: »Wieso nicht? Liegt es etwa daran, dass ich kein C-Promi bin? Darf ich deswegen keinen offenen Brief versenden? Das ist Schikane. Wie hießen die doch gleich, die einen offenen Brief verfasst haben? Alice Weiss? Julie Fuß? Reinhard Juni? Wieso darf ich das nicht? Ich bin auch Künstler. Ich wirke auf den ersten Blick nicht sonderlich intellektuell, auf den zweiten auch eher nicht, aber ich bin Künstler und Sie kennen mich.«
Sie: »Ich kenne Sie nicht.«
Ich: »Doch. Sie kennen meinen Namen. Der steht links in der Ecke. Als Absender. Also, darf ich diesen offenen Brief nun an Olaf Scholz versenden?«
Sie: »Nein.«
Ich: »Schade. Ich werde mich an die Anti - Diskriminierungsstelle wenden.«
Sie: »Tun Sie das.«
Ich: »Das werde ich. Aber vorher werde ich in meinem offenen Brief ergänzen, dass Frau Wolgaff von der Deutschen Post mich diskriminiert hat.«
Sie: »Woher kennen Sie meinen Namen?«
Ich: »Der haftet an ihrem Busen.«
Sie: »Sie können den Brief gerne mit einer Briefmarke versehen und in den Briefkasten stecken.«
Ich: »Aber dann ist es kein Einschreiben.«
Sie: »Man kann eben nicht alles haben.«
Ich: »Da haben Sie recht. Hauptsache, mein offener Brief kommt an und über mich wird geredet. Mehr will ich nicht, mehr wollten diese Prominenten nicht. Ein schönes Gefühl. Endlich wieder wichtig sein. Wenn auch nur für einen Moment. Vielen Dank, ich wünschen Ihnen den schönsten Abend.

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