Nichts Besonderes! Nur ne Lesung! Warum ich dann dafür
morgens um 03.00 Uhr nicht nur mein warmes Bett, die Nähe meiner Frau und die
Tritte meiner Tochter aufgebe?
Fragen sie mich nicht. Ich weiß, ich tue
instinktiv das Richtige. Also Arsch hoch, ab zum Bahnhof, der Zug fährt gleich.
Und genau da werden Angststörungen meinerseits sichtbar. Seitdem mein Vater mal
auf einen fahrenden Zug aufspringen wollte, habe ich panische Ängste davor, den
Anschlusszug des Lebens zu verpassen. Aber das war damals und heute ist eine
andere Zeit. Bereits auf dem Weg zum Bahnhof gehen meine Ängste schlafen. Ja,
sie werden regelrecht betäubt, denn in der S-Bahn, die mich zum Hauptbahnhof
bringt, liest so ein Typ der Marke „korpulenter Hilfsarbeiter“ eine Zeitung,
und in dieser prangt in übergroßen und nicht übersehbaren Lettern ein Satz, der
mich vollkommen aus der Fassung bringt. Dieser Satz wird die ganze Hinfahrt
lang mein stetiger Begleiter sein. Dieser Satz. Er wird mein Leben verändern.
Müssen. Ab sofort trinke ich wegen diesem Satz nur noch Tee.
„Der Konsum von Kaffee fördert ihre sexuelle
Erektion!“
Das erklärte mir als Kaffeejunkie so einiges. Normalerweise würde
ich mich gerade mit der für mich so wichtigen Frage befassen, die da lautet:
„Kaffee oder schlafen?“
Nun, diese Frage musste ich mir nun nicht mehr
beantworten. Nie wieder. Oder im schlimmsten Fall, so mit 60 oder 70 Jahren. Statt zu "Le Cro Bag" dann also direkt ab in den Zug, der zu dieser Zeit doch überraschend voll ist, was ich
schade finde. Aber ich werde mich an dieser Stelle nicht als soziophobes
Arschloch outen. Das kommt später. Ich
mache es mir erstmal bequem, wälze mich hin und her, gehe aufs Clo, wälze mich
wieder hin und her, gehe aufs Clo und finde dann endlich meine geeignete
Liegeposition. Diese herauszufinden, ist auf zwei viel zu schmalen und viel zu
unbequemen Sitzen eine ähnliche Herausforderung wie Sudoku lösen oder eine Flasche
Bier ohne Flaschenöffner öffnen. Verdammt, als ich 18 war, passte ich hier doch auch noch rauf. Aber wie ich schon seit einiger Zeit immer zu sagen
pflege, ist alles nur eine Sache des Willens und des Wollens. Mein Ziel habe
ich dann erreicht. Also das Ziel, mich so wenig unbequem wie nur möglich zu
betten und zu schlafen. Es ist toll, denn ich finde zur Ruhe. So ungefähr 5
Minuten. Dann werde ich von einer alten Dame mit einer Brutalität aus dem
Schlaf gerissen, welche die Weckkünste meiner Tochter am Sonntagmorgen um ein
Vielfaches überbietet. Die alte Dame mault herum, belästigt so ziemlich alle
Fahrgäste, weil sie unbedingt den Fahrschein sehen will. Soll sie sich doch
selber einen kaufen. Nun begann die ganze Prozedur von neuem. Ich versuche es
mir wieder bequem zu machen, wälze mich hin und her, gehe aufs Clo, wälze mich
wieder hin und her, gehe aufs Clo und finde dann endlich meine geeignete
Liegeposition wieder. Wie habe ich sie vermisst. Dann wieder unsanftes Wecken.
Ein alter Mann mault herum, belästigt so ziemlich alle Fahrgäste, möchte seinen
Kaffee verkaufen. Ich dann so in Erinnerung an diesen Satz der mein Leben
bereits verändert hat:
„Danke, nein! Ich brauche gerade keine Erektion. Meine
Morgenlatte ebbt gerade erst ab!“
Okay, das ist etwas übertrieben, ich bin
schließlich keine 13 mehr, sondern inzwischen über 30, aber diese Deutlichkeit
muss der Typ doch bitte verstehen. Aber sein Blick verriet mir, dass er dies nicht
tut, aber trotzdem immerhin das Weite aufsucht. Und ich finde nicht mehr zur
Ruhe. Musste nicht einmal mehr aufs Clo, finde also auch meine einzig wahre
Liegeposition nicht wieder. Ich könnt kotzen deswegen, habe aber gerade nichts
parat im Magenbereich. Dann nehme ich mir eben mein Smartphone und logge mich
beim angepriesenen W-Lan der Bahn ein. Wie einfach. Zugnummer eingeben, bald
fertig! Dann eben nochmal: Zugnummer eingeben und ziemlich fertig! Nun soll ich
auch noch meine Maidresse und mein Passwort eingeben?! Die Bahn macht mich
fertig. Was interessiert die Bahn bitte meine Mailadresse? Und ein Passwort
habe ich bei denen gar nicht. Was kommt denn als nächstes? Geben sie ihr
Geburtsgewicht ein? Tragen sie unten bitte ihre Bankverbindung samt
Geheimzahl ein? Also, liebe Bahn, vergiss es. Die Antwort der Bahn lässt da natürlich
nicht lange auf sich warten:
„Ihr Passwort war nicht korrekt!“
Okay, ich wusste
gar nicht, dass ich überhaupt eins eingegeben habe, aber egal. Dann ging es
weiter mit:
„Akzeptieren sie unsere
Preise und AGBs!“
Ja klar, bis eben dachte ich noch, das W-Lan wäre umsonst,
aber gut. Zurück fahre ich dann eben lieber mit dem Bus. Da ist es dann
wirklich umsonst. Kein Wunder, dass die Bahn Kunden verliert, bei dem
Internetzugang.
Ich versuche dann wieder, etwas zu schlafen. Ist ja gerade
mal so 07.00 Uhr. Zeit, es sich wieder bequem zu machen und die Augen zu
schließen. Ha, aber nicht bei der Bahn. Ist ja schließlich kein Nachtzug hier.
Wäre auch bedeutend teurer gewesen. Im ICE zu schlafen wird daher mit aller
Vehemenz verhindert. Neben bereits erwähnten Beispielen wie aufdringliche
Kaffeeverkäufer gibt es auch noch diese ständigen und viel zu lauten Durchsagen
wie
„Wir erreichen in Kürze Schlummerland!“
„Leider gibt es gerade einen
außerplanmäßigen Halt, damit sie auch ja nicht einschlafen, auf offener Strecke“
oder
„Im Bistro wartet der Kaffeeverkäufer auf sie. Der traut sich aber leider
nicht mehr raus aus seinem Speisewagen, da er gerade eine Morgenlattenphobie entwickelt!“
Aber ich will nicht derjenige sein, der aufgibt, sondern
lediglich weiterschlafen. Ich wälze mich daher auf meiner kleinen Sitzreihe erneut hin und her, suche mal wieder das Clo auf, wälze mich wieder hin und her und nicke irgendwann vor
Müdigkeit weg. Und dann?
„Personalwechsel! Ist hier noch jemand
zugestiegen?“
Diese Frage wiederholte sich während der Fahrt öfter als die
unendliche Geschichte in Endlosschleife. Ich liege nur da, bin genervt, ein
paar Gliedmaßen baumeln von meiner Sitzreihe. Sie passten schlicht nicht mehr auf
den Sitz. Ich habe doch keine Ahnung, dass selbst meine Gliedmaßen ein
gefundenes Fressen für die Fahrkartenkontrolleure sind. Denn nun werden jedes
Mal, wenn ich auch nur den Versuch des „auf die Sitze legens“ unternehme, meine
herunterbaumelnden Gliedmaßen auf brutalste Art und Weise leicht angerempelt. Gut, nehme ich sie eben
hoch. Noch weniger bequem, aber ich möchte ja in keinster Weise als
Aggressionsfläche dienen.
Irgendwann kommt er wieder,
der Fahrkartenkontrolleur. Mein Feind! Mein Gegner! Aber ich werde diesmal stärker sein! Sämtliche Gliedmaßen halte ich an mir und täusche vor, das Land der Träume aufgesucht zu haben. Ich rechne damit, dass er mich nochmals nach meinem Ticket fragt,
bereite mich bereits auf einen gezielten Konterschlag vor. Ja, wenn der Feind
auf der Bildfläche erscheint, werde ich vorbereitet sein. Ich lege mir Sprüche
zurecht, wenn ich nun nach meinem Ticket gefragt werde. Sprüche wie
„Also, ich
find das ja toll, wie sie ihren Job ausüben. Aber wenn ich auch jedes Mal die
Arbeit meiner Kollegen wiederholen würde, täte mein Chef mir aber gehörig in
den Arsch blasen! Toll, wie kulant ihr
Chef zu sein scheint!“
Oder ich stelle mir vor, ihm einfach zu sagen, dass ich schlicht keine habe. Denn anscheinend hat er nicht genug zu tun, außer Fahrgäste wie mich daran
zu hindern, den ICE als Nachtzug zu missbrauchen. Dann hätte er auch mal was zu tun. Und
wenn er dann schon die Bundespolizei dazu geholt hat, weil ich mich vehement dagegen wehre,
den Zug zu verlassen, finde ich zufälligerweise doch noch mein Ticket und er
beißt sich in den Arsch. Jawohl, das mache ich. Das ist gut. Schlafen klappt
nicht, Internet klappt auch nicht. Nun habe ich endlich meine Beschäftigung für
mindestens die nächste halbe Stunde. Yeahh!
Nun liege ich auf den Sitzen, warte
auf die Frage aller Fragen und verkneife mir ein leichtes Schmunzeln. Er kommt.
Immer näher. Er schaut zu mir. Jetzt bist du dran. Für alle Aktionen, die mich
am Schlafen hinderten, wirst du nun büßen. Du Hund. Komm doch. Ich bin
vorbereitet. Er schaut zu mir. Plötzlich ist da angeblich eine Kurve, die den
Herrn Fahrkartenkontrolleur das Gleichgewicht verlieren und ziemlich
ungeschickt auf mich fallen lässt. Ich höre nur noch:
„Oh! Das tut mir aber leid!“
und sehe
ihn weggehen. Das war ein ganz gemeiner Hinterhalt. Du Arsch. Mit diesem
Angriff habe ich nicht gerechnet. Ich fühle mich betrogen und hintergangen, dabei bin ich doch nur müde, möchte schlafen, aber
das ist hier heute nicht mehr möglich. Ich bleibe wach, warte auf den Herrn
Fahrgastbelästiger. Der kann was erleben. Beim nächsten Mal. Oder auch nicht. Denn solange man mir
meinen wachen, nicht komatösen Zustand ansieht, lässt sich dieser Sohn des
Teufels nicht mehr blicken.
Irgendwann komme ich dann an in St.Pölten. Dieser Ort, den
ich mit meiner Lesung beglücken darf.
Und es ist nett dort.
Tolle Leute und engagierte Organisatoren
viel interessiertes
Publikum,
tolle Stimmung,
Einfach schön.
Auch ein großer Dank an die musikalische Begleitung von Christoph Richter.
Und ich denke
gar nicht mehr an die böse Bahn, die mich doch so leiden ließ. Zurück fahre ich
dann nämlich lieber mit dem Nachtbus. Mit W-lan und einem Sitz direkt neben dem
Clo. Ja, dann habe ich es selbst nicht so weit und werde beim nächsten Mal auch
an die anderen Fahrgäste denken, die mich mit ihrem ständigen Toilette
aufsuchen wach halten. Und nein, ich habe gar keine Sozialphobie. Ich hasse manchmal
lediglich Menschen.
Nächste Woche geht es weiter in St.Pölten. Die nächste Lesung
in der „Seedose“ steht an. 17.00 Uhr gehts los. Leider ohne mich, denn noch
eine Reise mit der Bahn, noch einmal Folter in Form von Schlafentzug überlebe
ich nicht. Also Samstag, den 03.10. 17.00 Uhr in der Seedose in St.Pölten. Seit dabei, wenn ich ihr zufällig in der Nähe seit und nichts verpassen wollt.
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