Mitte nächster Woche erscheint mein neues Buch. Das Leben der Miss HassLiebe!
Hier ein Auszug:
Ich saß in der S-Bahn. Auf dem Weg nach Spandau!
Besuchte meinen Vater!
Besuchte Kindererinnerungen!
Besuchte Erinnerungen an meine Mutter! Spandau
weckte Erinnerungen, die doch lieber weiterschlafen sollten.
In der S-Bahn stank es nach faulen Eiern. Wie in
Spandau. Ich beobachte einen Typen, der vor der Tür stand und scheinbar darauf
wartete, anzukommen und auszusteigen. Aus dem Leben. Dieser Typ in Jogginghose
und Mottoshirt streichelte die Tür, als wollte er diese zärtlich darum bitten,
dass sie sich bei voller Fahrt doch bitte öffnen tue und er aus der Tür kotzen
oder springen könne. Was auch immer.
Berlin hat viel zu viele Bahnhöfe, weswegen es
immer scheiße lange dauerte, von Friedrichshain nach Spandau zu fahren. In
einen dieser Bahnhöfe fuhren wir ein. Die Tür öffnete sich, der
Jogginghosen-Man blieb vor dem Ein- und Ausstieg stehen. Niemand kam rein oder
raus. Gedanken, schlicht eine andere Tür zu nehmen, kam niemandem in den Kopf.
Wie einfach es stattdessen schien, andere Menschen komplett aus der Fassung zu
bringen. Erst wurde gemeckert, dann gepöbelt, geschrien, beleidigt, bis
irgendwer das menschliche Hindernis aus dem Weg stieß. Bis dahin wurde es als
Arschloch, dreckiger Bastard, dämlicher Penner und krankes Mistschwein
beschimpft. Dann lag Herr Hindernis auf dem Boden und ich konnte erkennen, was
genau auf seinem Motto-Shirt stand. Im a
fucking ashole!
Irgendwann kam ich an in Spandau. Der Bus
brachte mich vom Bahnhof auf direktem Wege ins Einfamilienhäuser-Ghetto! Hier
herrschte noch Kriegs- statt Kiezatmosphäre. Hier wurde gnadenlos gehasst.
Alles was anders schien oder alle, die scheinbar mehr hatten, als man selbst.
Purer Hass war spürbar! Das war auch das Einzige, was mir an dieser Gegend
annähernd gefiel.
Irgendwo in diesem Kriegskiez wohnte mein Vater.
Irgendwo hier klingelte ich. Keine Ahnung, ob es das richtige Haus war. Alle
Klotze, die in Reih und Glied standen, wie eine
Häuserarmee, die in die Schlacht ziehen will, sahen gleich aus. Mein Vater
öffnete!
Glück im Unglück!
Er bat mich herein, kurze Zeit
später saßen wir auf der Couch. Das TV-Gerät spielte ebenfalls gerade etwas von
Krieg.
Krieg gegen Hirn!
Es lief Unterschichtenfernsehen
mit dem Thema 6 aus 49! Wer sind die
Väter meiner Kinder?
Erst nachdem einer von
unzähligen Werbeblöcken die Sendung unterbrach, hielt es mein Vater für nötig,
sich mit seinem Besuch abzugeben. Das war typisch für ihn. Er hatte seine
Prioritäten.
Ich auch!
Männer sind scheiße und mein Vater
stellte keine Ausnahme dar!
Meine oberste und einzige
Priorität.
Wir unterhielten uns über
seinen Gesundheitszustand, das Haus, seine Frau und meine Mutter und das
Fernsehprogramm. Irgendwo knallte es plötzlich ganz gewaltig. Im Fernsehen
wurde gerade jemand erschossen.
»Endlich ham se den, die alte
Sau!«
Mein Vater fühlte mehr mit dem
Fernsehprogramm mit, als mit seiner Tochter. Die war kein Thema.
Was machte die überhaupt hier?
Wie kam die hier rein?
Ach ja, durch die Tür! Dinge
passieren! Plötzlich fragte mich mein Erzeuger, ob ich nicht Lust hätte, wieder
zu Hause einzuziehen. Ich konnte diese Frage nicht verneinen. Fühlte mich
stattdessen wie ein Cocktail. Durchgemixt mit reichlich überrascht und
gleichermaßen schockiert sein. Nie im Leben wollte ich in dieses Haus je wieder
einziehen. Als ich auszog, schwor ich mir sogar, nie mehr auch nur einen Fuß in
diese Tür zu setzen. Das änderte sich. Mit dem Tod meiner Mutter.
»Weißt du, ich bin so einsam
hier! Alles ist so leer und ich weiss oft gar nicht wohin. Das Schlachtfeld ist
so groß und ich bin der einzige Überlebende!«
Ich fühlte mich
geistesgegenwärtig wie ein Geist. Mir fehlte gerade die Kraft. Kraft, um auf
dieses Angebot einzugehen. Dann sagte ich jedoch:
»Papa, ich bin sowieso bald auf
großer Tournee, wäre eh nur selten da. Das würde nichts bringen!«
»Auf großer Tournee? Aber doch
nicht etwa mit diesen komischen Kindern von deiner Arbeit?«
»Die Arbeit habe ich nicht mehr!
Ich lebe jetzt nur noch für die Band!«
Kurze Zeit später befand ich
mich wieder auf dem Weg zum Bus. Wieder ließ ich ein Stück Kindheit hinter mir,
als ich über das Schlachtfeld voller Einfamilienhäuser marschierte.
Komischerweise musste ich plötzlich an Anne denken. Aus der Kinderpsychiatrie. Viel
zu nötig wäre es mal gewesen, in meiner Kindheit Anne zu sein. Anne war ein
13-jähriges Mädchen auf der Geschlossenen. Sie aß, sie trank, sie grinste und
weinte, sie ging oder rannte, aber sie hat nie mit irgendjemandem gesprochen.
Nicht ein Wort! Durch Anne lernte ich viele Dinge zu schätzen, weil es andere
nicht gab. Dadurch, dass Anne nie redetete, wirkte ihr Lächeln immer wie ein
Friedensangebot an die ganze kranke Welt. Aber das wird es nie gewesen sein.
Konnte es nie gewesen sein. Denn viel zu viel Scheiße hat Anne in dieser bösen
Welt erfahren müssen. Weshalb sie vielleicht mit ihrem so bedeutenden Lächeln
lediglich um Gnade bettelte. Von ihren Eltern haben wir damals nicht erfahren,
welche Ereignisse Annes Stummheit auslösten. Es hieß immer nur:
»Wir können es uns auch nicht
erklären!«
Na klar! Anne wurde geboren und
nahm sich eben irgendwann vor, von jetzt auf gleich einfach nicht mehr zu
quatschen. So wird es gewesen sein. Und wenn sie nicht gestorben sind,...
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