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Schreiben in Flensburg - Zweiter Teil

Wenn ich gen Norden fahre, also nach Schleswig-Holstein oder Niedersachsen, dann verbinde ich das mit entspannten Menschen, mit Weite, grünen Wiesen und Watt. Aber ich landete im Citti-Park. Zum ersten Mal in meinem Leben. Wobei es Einkaufs-City besser beschrieben hätte.
Okay, hier bündelte man also sämtliche Einkaufsmöglichkeiten an einem Ort. Für die Flensburger Innenstadt konnte das nur gut sein, für mich war es das nicht, ich brauchte doch nur eine Zahnbürste. Dabei musste ich das kennen, schließlich wohne ich in einer Stadt, die nicht viel kann, außer überdimensional zu bauen. Okay, überdimensional bauen zu wollen.

Während ich also durch das Einkaufs-Labyrinth in Richtung neuer Zahnbürste irrte, verirrten sich folgende Dinge in meine Tasche:
Dänische Lakritze
Dänische Lakritze mit Schokoladenüberzug


Dänische Gummibärchen
Dänisches Bier
Holländisches Bier (über Heineken kann man durchaus streiten)
Bier aus Ostfriesland
Eine Grapefruit (Herkunft unbekannt)
Amerikanisches Sandwichtoast
Schweizer Käse

Fast hätte ich sie vergessen, meine Zahnbürste. Im Durcheinander an Einkaufsmöglichkeiten erinnerten mich dann die Buchstaben D und M an meine eigentliche Motivation, diese mich überfordernde Einkaufsstadt aufzusuchen. In dem Drogeriemarkt mit den zwei Buchstaben war ich nicht das erste Mal. Aber zum ersten Mal machte man mich darauf aufmerksam, dass es bei DM keine rechten Winkel gab. Das sei einem Götz Werner geschuldet, dem Gründer des Unternehmens, der wohl einen Rudolf Steiner recht sympathisch fand, welcher wiederum irgendwas mit Anthroposophie gründete. Mir war das alles zu viel, ich wollte nur eine Zahnbürste, möglichst elektrisch.

 Wenig später saß ich am Schreibtisch. Endlich schreiben, sich austauschen.
 Ich: »Liebesbriefe unter Jugendlichen, gibt es das noch?«
Andere: »Lass dir mal was Spektakuläreres einfallen. Mit Liebesbriefen rechnet jeder.«
Ich: »Whatsapp geht auch nicht, die Hauptpro...«
Andere: »... Was Spektakuläreres!«
Die nächste Frage war: Hat Langeoog, wo der Roman spielen wird, einen Leuchtturm? Nein, aber einen Wasserturm. Na, dann kann man doch die Liebeserklärung an dessen Wände klieren. Eine geniale Idee. Ich machte mich sofort daran, diese umzusetzen.
Wer nun denkst, ein Schriftsteller sitzt stupide an seinem Schreibtisch, ist sozial isoliert und zu Kompromissen schon mal gar nicht bereit, dem stimme ich in gewisser Weise zu. Aber wenn es darum geht, in die soziale Interaktion zu treten, um diese Erfahrung in seinem neuen Roman einfließen zu lassen oder, noch viel krasser, vom eigentlichen Plot abzuweichen, weil da plötzlich jemand ist, der DIE geniale Idee hat, die man selber nie hatte, ist man durchaus zu Kompromissen bereit. So lange es zum Manuskript passt.
So landete der diskutierte Liebesbrief also an den Wänden des Langeooger Wasserturms.
Statt mich also dem Plot des elften Kapitels hinzugeben, begann ich nun, die Hälfte des zehnten Kapitels zu überarbeiten. Und mit jedem Wort merkte ich, wie der Abschnitt mit der neuen Idee an Genialität zunahm.

Nun saßen wir also vor unseren Laptops und unsere Finger verursachten Klickgeräusche. Aber hätte man das alles nicht auch in einer anderen Stadt haben können? Musste es unbedingt Flensburg sein? 
Ja, denn die Fahrt hätte auch folgendes Motto haben können: Die Recherchereise des Anderen. 
Es ging ja nicht nur darum, mich mit genialen Ideen zu füttern, andere heranwachsende Bücher spielten u.a. in Flensburg. Und wie wichtig es war, Orte nicht nur über Google-Maps, sondern real zu erleben, erfuhr ich im Februar, als ich in Hamburg-Harvteshude, Berlin-Marzahn und Langeoog unterwegs war.

Es galt also, Flensburg zu erleben. Wir packten nach zwei Stunden die Laptops ein und zogen los. Mit dem Ziel, einen geeigneten Platz am Hafen zu finden. Das größte Ziel war aber, am Abend eine Jugenddisco aufzusuchen. Manchmal muss man eben Dinge tun, die man tun muss für die man eigentlich schon zu alt ist.
Im Isa-Café stärkten wir uns mit einem Eiscafé, ehe es weiter Richtung Hafen ging. Und dabei verfestigte sich ein Bild über Flensburg, welches ich nie bekommen hätte, wenn ich diese Stadt nicht hätte live erleben dürfen. Es war eine Mischung aus einer typischen Idylle, wie man sie aus vielen Kleinstädten in 

den alten  
Bundesländern kennt, Berlin-Kreuzberg und einer Brise Dänemark.

Ich war fasziniert, denn es war nicht wie in Berlin, wo es hier den Hippster-Kiez gibt, am Stadtrand Armut herrscht und in Mitte die scheinbar reichen Schnösel herumlaufen. In Berlin hat man oft das Gefühl, dass es viele kleine Grenzen in der Stadt gibt. Das war in Flensburg anders, hier schien alles miteinander verbunden zu sein.


Am Hafen wuchs mein Text weiter, ehe wir, auf der Suche nach einem Abendessen, im San Marco landeten. Wie es der Name schon vermuten lässt, es war ein italienisches Restaurant mit zuvorkommendem Personal und leckerem Essen.
Anschließend ging es zurück in die Unterkunft. Von dem Ziel, eine Jugenddisco zu besuchen, die erst um 23:00 Uhr die Tore öffnen würde, verabschiedeten wir uns spontan. Stattdessen gaben wir uns dem letzten Schreibfluss hin, ehe wir am Ende vor dem Film Absolute Giganten versackten. Treffender konnte der Tag
nicht ausklingen.

 

 

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